Polizeiarbeit Tatort in 3D

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Polizeiarbeit Tatort in 3D

  1. August 2018, 08:12 Uhr

LKA-Mitarbeiter im Fotostudio stellen die Tat virtuell nach.

(Foto: Bayerisches Landeskriminalamt/ZFT)

Schon heute nutzt die Polizei digitale Tatortmodelle, zuletzt beim Doppelmord von Höfen. Die LKA-Experten versprechen sich, Morde und Attentate so besser aufklären zu können.

Von Johann Osel

Gut, dass man diesen schrecklichen Ort nicht riechen muss. In einem Restaurant hat es gebrannt. Ein Unfall? Brandstiftung? An der Herdzeile, wo das Feuer ausgebrochen sein muss, starrt alles vor Ruß und Dreck, demoliertes Mobiliar und versiffte Packungen von Lebensmitteln stapeln sich, Schutt und Asche. Bei der Spurensuche kann man in die Mülleimer blicken oder den Kopf sogar in die Kloschüsseln im Separee stecken, die den Eindruck machen, schon vor dem Feuer nicht strahlend-weiß gewesen zu sein. Oder man kann den Schauplatz aus der Vogelperspektive anschauen – ein Knopfdruck, und man fliegt über dem Geschehen, drei Meter in der Luft.

Die Tatortbegehung findet ja nicht in Echt statt, sondern in einem abgedunkelten Fotostudio, irgendwo tief in der Gebäudeburg des Landeskriminalamts in München. Nichts ist den Scannern entgangen, mit dem die Brandstelle digitalisiert wurde, alles ist dreidimensional erfasst, scharf bis ins Detail. Mit einer Virtual-Reality-Brille lässt sich daher der Ort betreten und begutachten – so, als stünde man mittendrin. In die echte Ruine könnte man womöglich gar nicht rein. Weil es noch zu heiß ist oder die Luft vergiftet; oder weil längst aufgeräumt wurde. Zumindest ist die Szenerie nicht so blutig wie die Örtlichkeiten, die sie beim LKA meist erfassen.

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Ralf Breker leitet hier die “Zentrale Fototechnik”, ZFT, was etwas altbacken klingt, irgendwie nach Blitzerfotos – aber tatsächlich hochmodern ist. Denn dazu gehört eben 3 D-Rekonstruktion von Verbrechen, die digitale Tatortanalyse. Jährlich 60 bis 80 Schauplätze vermisst Breker mit seinem Team und erstellt Modelle von Orten, an denen Brände gelegt, Bomben gezündet, Menschen getötet wurden. Oft Letzteres. Der 45-Jährige, ein lockerer, sportlicher Typ, ist wie die meisten im Team kein Polizist, er ist Diplom-Ingenieur für Geomedientechnik. Vor knapp zehn Jahren hat er mit digitalen Analysen dieser Art angefangen, “mehr oder weniger allein”.

Heute arbeiten im Team der ZFT sieben Leute nur in diesem Bereich, als “Service-Schnittstelle für die Polizei”, wie er es nennt. Der Freistaat sei da bundesweit “weit vorne dabei” – nach seiner Vorstellung könnte der rasante technische Fortschritt aber noch zu ganz neuen Anwendungen führen. Zu einem “Virtual Lab” vielleicht, einem virtuellen Ermittlungslabor, wo Beteiligte wie Kommissare und Sachverständige mit VR-Brillen standardmäßig in Tatorte eintauchen. “Das ist aber in der Form noch Zukunftsmusik”, meint Breker. Derzeit schicken sie die fertigen Modelle zum Begutachten am Bildschirm an diejenigen, die sie beauftragt haben – in der Regel die Kriminalpolizei oder eine Staatsanwaltschaft.

Ein Mordtatort wird aus der Vogelperspektive inspiziert.

(Foto: Bayerisches Landeskriminalamt/ZFT)

Kamera und Maßband, darauf musste man sich über Jahrzehnte im Grunde verlassen. Ermittler hielten an einem Tatort das fest, was ihnen in dem Moment von Belang erschien. Das Bild blieb zwangsläufig subjektiv – und zweidimensional. Wenn Brekers Team ausrückt, muss das nicht zur Stunde des Leichenfunds sein. Die ersten Spurensicherer fotografieren heute in 3 D alles, Leichen und Spuren lassen sich so im Nachhinein in den digitalisierten Tatort einbauen. Nur Minuten dauert das Scannen pro Vorgang, ein Raum ist in drei, vier Akten fertig. Am Rechner bauen sie die Daten dann in dreidimensionale Bilder um – das dauert mindestens Tage, zuweilen Wochen. “Die Hauptarbeit ist im Büro”, sagt Breker und zeigt infernalische Schauplätze. Blut, einfach überall. In einer Küche, wo jemand niedergemetzelt wurde und alles rot klebt, Spüle, Kühlschrank, Bierkisten in der Ecke; in einem Badezimmer, wo sich der Täter die Hände wusch, manchmal wurde verwischtes Blut auch mit Luminol, einem chemischen Stoff, erst wieder sichtbar gemacht. Es gibt Spuren wahrer Jagdszenen zu sehen, quer durch ein ganzes Haus.

Wozu das Ganze? Es ist nicht unbedingt der entscheidende Hinweis, der digital entdeckt wird. Wobei das sein könnte: Werden Häuser oder Straßen erfasst, lässt sich der Fluchtweg nachstellen – oder gut prüfen, ob die Nachbarin vom Fenster aus wirklich gesehen haben kann, was sie zu sehen glaubte. Was genau welchen Aufklärungserfolg erbracht hat, kann Ralf Breker kaum sagen – er ist ja nicht Ermittler, sondern Dienstleister der Ermittler. Es geht seiner Ansicht nach vor allem um die bessere Vorstellung, um millimetergenaue Dokumentation – für Ermittler, Gutachter, für Ankläger und Richter. “Die wenigsten Leute können sich Räume anhand von Plänen und Fotos vorstellen”, sagt er. Das Gehirn versuche, Räumlichkeiten in Fotos hineinzuinterpretieren, das laufe aber bei jedem anders. Es geht zudem um umfassende Konservierung von Tatorten, man weiß nie, was mal wichtig werden könnte als Spur. Für aufgerollte ungeklärte Mordfällen gilt das erst recht.

Breker gerät fast ins Schwärmen, wenn es um die technischen Fortschritte geht. Gescanntes lässt sich auch im 3 D-Drucker als Modell erstellen: Gesichter, Körperteile mit Verletzungen, sogar eine komplette Leiche könnte man so entstehen lassen. Der Ingenieur zeigt Beispiele auf einem Tisch, ein Schädel mit Einschussloch, ein Kopf mit vielen Löchern – da lassen sich Schusskanäle nachstellen. Oder Körperteile am Computer, Beispiel Überfallopfer: Mehrere Fußtritte hat es ins Gesicht bekommen. Digital lassen sich die Sohlen von Schuhen Verdächtiger zuordnen, samt Ösen von Schnürsenkeln, aber auch das Gesicht drehen – welcher Tritt war jener, der zum Tod führte?

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Am Monitor lässt sich, ein anderes Beispiel, bei einem Brustkorb mit Einstich das Fleisch wegretourschieren, man kann die Perspektive aus dem Brustkorb heraus einnehmen. Selbst virtuelle Obduktionen sind grundsätzlich möglich. In der Schweiz werden sie gemacht. Diese “Virtopsy” hat sich hierzulande aber noch nicht durchgesetzt, ist auch umstritten. Es könnte eine Methode der Zukunft werden – schließlich lässt sich damit ein Körper sezieren, dessen Gewebe längst im Grab verwest ist. Zerstört wird – mangels Skalpell – nichts.

https://www.sueddeutsche.de/bayern/polizeiarbeit-tatort-in-d-1.4093348

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